Moin! Es dauert immer ein wenig länger als erwartet, doch
dafür lohnt es sich umso mehr.
Es sind nun 3 Wochen vergangen seit dem letzten Logbuch, und
es gilt einiges nachzuholen. Die Zeit rast. So viel passiert jeden Tag. Und
doch so wenig kommt man selbst voran. Die berühmt-berüchtigte african time.
Aber so schlimm ist das gar nicht, von der anderen Seite betrachtet nimmt man
sich für alles und jeden einfach mehr Zeit. Stress ist was Abnormales.
Jedenfalls ist der Alltag eingekehrt. Nehme ich mal an. Hier mein letzter Mittwoch:
Ich versuche, gegen 9 Uhr aufzustehen (ehrlich, wer schafft
das denn schon?) und schleiche mich unter die Dusche. Auf dem Weg komme ich an
der Küche vorbei, wo sich ein halbwegs wacher Moe und ein scheinbar
ausgeschlafener Paul meines Frühstücks bemächtigen und über meinen
morgendlichen Anblick amüsieren. Mir doch egal. Kaufe ich mir halt später auf
dem Weg zum Office eine halbe Staude Minibananen. Ich steige unter die Dusche.
Ein eiskalter, feindlicher Schwall Wasser läuft über meinen Kopf. Na, immerhin
bin ich sofort wach. Die Dusche ist für die ersten Sekunden schlimm. Ich
verkneife mir bescheuerte Geräusche. Mein nächster Gedanke: Nicht schlecht. Wer
braucht denn schon warmes Wasser? Ich genieße es, aber nicht lange, denn ich
bin schon zu spät dran. Unbedingt sollte ich jetzt meine Sachen einpacken, den
Berg runter- und den nächsten wieder rauflaufen und den Bus in Richtung
Nyarugenge nehmen.
Der Plan ist eher semierfolgreich. Zwischen Tellern und
blöden Kinyarwanda-Zetteln suche ich meinen Schlüssel. Wer hat ihn schon wieder
verlegt? Irgendwer möchte wohl nicht, dass ich arbeiten gehe…
Doch nach ein paar Minuten der an Verzweiflung grenzender
Suche stolpere ich aus dem Haus, schnell Arbeitsgerät auf den Rücken und bevor
ich den Berg zum Busstop hoch kraxele, packe ich am nächstbesten Stand noch ein
Bund Bananen ein.
Im Büro angekommen (es ist nun 11:05 Uhr), sattle ich meinen
übergroßen Rucksack ab und baue im Winzlings-Büro gemächlich meinen Laptop auf.
Mein Chef ist noch nicht da. Sehr schön. Ein paar Mails schreiben und mein
heißgeliebtes Bananenfrühstück zu genießen. Ein bisschen Pauls und Leons Blog
lesen (sehr zu empfehlen) und StarWars den sechsten herunterzuladen, und dem
Stempeltacker jenseits der Holztrennwand zu lauschen, der wie ein Metronom
ununterbrochen den Rhythmus schlägt und meine Konzentration vorgibt. Mal
besser, mal schlechter.
Später, schweren Mutes, suche ich mein HTML-Lernzeug raus,
um meine Skills in Sachen Webpages zu verbessern. Kurz nach meiner Ankunft
stürzte die Webseite von FAPDR ab, die natürlich wichtig ist um zu sehen, dass
wir tatkräftig an den Fahrrad- und Energieofenprojekten arbeiten. Mein Chef bat
mich, die Seite zu aktivieren und einem bösartigen Fehler den Garaus zu machen,
allerdings ist Programmieren für mich in etwa so transparent wie die Arbeitsmoral
im Immigration Office. Und wie deren Gründe, warum ich dieses und jenes
Dokument, zum Beispiel mein deutsches Abiturzeugnis, noch fürs Visum brauche.
Im Übrigen habe ich das jetzt endlich. Und darf sogar legal hier arbeiten.
Wie auch immer, kurz vor der Mittagspause trudelt Jean
Baptiste, mein Chef, ein. Wir beide stellen ganz nebenbei die komplette Crew
von FAPDR dar. Er begrüßt mich auf seine ruhige, entspannte Art und wir
quatschen ein wenig. Ich habe ausnahmsweise mal mehr zu tun als die Füße
hochzul… ich meine, Kinya zu lernen oder mir Gedanken übers Reisen zu machen.
Jean bittet mich, ein 12-seitiges Proposal für ein neues Projekt zu
berichtigen. Nice, endlich werde ich mal gebraucht!
Vielleicht ein wenig zu früh gefreut. Das kleine Kompendium ist
zwar auf Englisch verfasst, allerdings enthält es so viele Fehler, dass es schwer
lesbar ist. Und sobald ich angefangen habe, meint Jean, er braucht es morgen
und will es dann losschicken. Dann rauscht er auch schon aus dem Office und mir
bleibt nichts Anderes übrig, als mich durch den Wortsalat zu finden, Fehler zu
korrigieren und zu hoffen, dass ich die Sätze verstehe und nicht nachfragen
muss. Denkste. Nach zehnminütigem Lesen ist überdeutlich, dass ich es mit einem
Fall der nicht ganz so einfachen Art zu tun habe und den kompletten Text neu verfassen
muss. Man stolpert über Unklarheiten, Wiederholungen und von google translate
übersetztes Französisch. Ein wunderbares, blumiges und ein klein wenig naives
Proposal (das erlaube ich mir mal), so wie es sein soll. Ein Zitat wäre
vielleicht nicht schlecht. Wobei, das erspar ich euch. Fragt mich persönlich,
wenn euch das brennend interessiert...
Ich bin heilfroh, als ich das letzte Wort am nächsten Tag
verbessert habe und zur Belohnung für die Aufbürdung von Arbeit den Rest der
Woche frei bekomme. Gar nicht mal so schlecht, wenn ich ab und zu tatkräftig
wirken kann, wirklich gebraucht werde, und am nächsten Tag mit einer
freundlichen Guten-Morgen-SMS geweckt werde: „Today I not be to office, you can
work at home.“ Immerhin weiß ich dann ab Sonnenaufgang, dass ich mich noch
einmal auf die andere Seite drehen und schlummern kann. Super.
Wenn man sich darüber nachdenkt, ist doch Sprache so etwas
Tolles, etwas, mit dem man sich selbstverwirklichen kann und mit Leuten in
Kontakt kommt und schnell in eine neue Gesellschaft eintaucht. Zumindest, wenn
man die Sprache kann. Logo, wo doch Sprache das Essentielle ist um sich zu
verstehen. Da hapert es bei mir im Office. Und dabei geht es nicht mal um
Kinyarwanda. Ich gebe mir echt Mühe und versuche so viel Französisch zu
sprechen, wo es sich anbietet, mal ist es erfolgreich und man bekommt
Anerkennung, und mal läuft es gar nicht. Einmal fragte ich meinen Chef etwas
zum co2balance Projekt; wie es strukturiert ist und wer welche Aufgaben
übernimmt. Damit habe ich mich und ihn überfordert. Mich im Französischen, weil
ich seine Antwort nicht erst nicht verstand. Ihn, weil er meinem Gefühl nach
gar nicht so genau weiß, wie das Projekt abläuft und wie etwas Dringendes zu
organisieren ist. Nichtsdestotrotz hoffe ich darauf, dass es nach einigen
Monaten Paukerei und Einarbeiten besser läuft.
Ein bisschen mehr zum Stadtleben. Ich hab ein wenig in meine
Blogkiste gegriffen und wollte das hier eigentlich schon viel früher posten. Jetzt
gibts diesen Post, damit man sich den Verkehr vorstellen kann (besser bekannt
als Kigal’sches Gewusel). Ich weiß nicht genau wie viele Unfälle jeden Tag
entstehen und wie die alle so schnell geräumt werden sollen. Voila.
„Ich sitze im Bus in
Richtung Office und staune über den Verkehr. Ein Krachen, dann ein metallisches
Schleifen, der Bus hält an. Ich bin noch in ein Gespräch mit frisch gelernten
Wörtern Kinyarwanda verwickelt, als die Leute sich die Nasen an den Fenstern
plattdrücken und aufstehen, Erstaunen in den Stimmen, neugierige Gesichter.
Ein Unfall. Vorn,
durch die Frontscheibe sehe ich es. Ein weggeschleudertes Moto, Kratzspuren auf
der Straße, doch kein Fahrer. Sieht heftig aus. Weder links noch rechts sehe
ich jemand auf der Straße. Doch am Rand des staubigen Asphalts sitzt ein Mann,
den Helm noch an, Visier hochgeklappt, außer Atem. Der Schreck steht ihm ins
Gesicht geschrieben. Kein Blut, keine Verletzungen, und alle lassen sich zurück
in die Sitze fallen.
Ich glaub, ich bin
grad fast genauso geschockt wie der Busfahrer. Ob er mal in den Rückspiegel
schaut? Ich wage es zu bezweifeln. Oder der Motofahrer, der seine Fahrkünste
zeigen wollte. Zwischen ausschwenkendem Bus und Gegenverkehr hindurch.
Natürlich blinkt hier keiner. Doch hier geht es nicht um Schuld. Eine Delle am
Bus, Schrammen und Blech, Lackschäden, alles halb so wild. Der Fahrer redet mit
ihm, es sieht so aus als wollen sich die beiden vertragen. Der Bus fährt
weiter.
Ich steige vorm Office
aus, noch ein wenig verwundert, dass alles so schnell ging. Ich halte mich das nächste
Mal umso besser hinten an der klapprigen Halterung fest, wenn mich wieder ein Moto
mitnimmt.“
Das war das erste Mal, einen Unfall miterlebt zu haben.
Letztens erneut. Nach einem kurzen Regen, der es dafür in sich hatte, fuhr ich auf
der belebten Straße am Busbahnhof zurück und wieder drückten sich plötzlich alle
Leute die Nase platt. Den Unfall selbst hab ich nicht mitbekommen. Zwei Busse
standen mitten auf der Fahrbahn, ohne Spur einer Kollision. Doch plötzlich sah
ich es genau unter dem Bus. Ein Mann lag hinter dem Vorderrad, mit seltsam
abgewinkelten Armen, komplett regungslos. Ich wollte gar nicht dahinsehen, das
Bild brannte sich trotzdem fest. Noch krasser war, dass die Passanten wie die
Geier auf den Körper starrten und stehen blieben. Und viele hörte man sagen
„ein Toter, ein Toter“.
Unschön und zugegeben unpassend, so etwas zu sagen, aber an
diese Neugier und Gafferei muss man sich schlicht und einfach gewöhnen, egal in
welcher Situation.
Nach ein paar Minuten kamen von überall her Polizisten und
Militär angerannt. Das ist nochmal ein krasser Anblick. In Deutschland tragen
die Beamten ihre Bewaffnung sehr dezent am Körper. Und Militärpräsenz ist quasi
ein Fremdwort. In Kigali stehen an jeder Straßenecke mindestens drei Milizen,
mit geschulterter AK, die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Manchmal wird man
genauso durchdringend angegafft. Manchmal starren sie apathisch Löcher in die
Luft.
Ich steige aus, und laufe zur nächstbesten Alimentation.
Gönne mir eine eiskalte Fanta Citron aus dem Schrank und laufe weiter.