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Freitag, 26. Oktober 2012

Ein Kigal’scher Alltag – oder: leben ist anstrengend




Moin! Es dauert immer ein wenig länger als erwartet, doch dafür lohnt es sich umso mehr.
Es sind nun 3 Wochen vergangen seit dem letzten Logbuch, und es gilt einiges nachzuholen. Die Zeit rast. So viel passiert jeden Tag. Und doch so wenig kommt man selbst voran. Die berühmt-berüchtigte african time. Aber so schlimm ist das gar nicht, von der anderen Seite betrachtet nimmt man sich für alles und jeden einfach mehr Zeit. Stress ist was Abnormales. Jedenfalls ist der Alltag eingekehrt. Nehme ich mal an. Hier mein letzter Mittwoch:

Ich versuche, gegen 9 Uhr aufzustehen (ehrlich, wer schafft das denn schon?) und schleiche mich unter die Dusche. Auf dem Weg komme ich an der Küche vorbei, wo sich ein halbwegs wacher Moe und ein scheinbar ausgeschlafener Paul meines Frühstücks bemächtigen und über meinen morgendlichen Anblick amüsieren. Mir doch egal. Kaufe ich mir halt später auf dem Weg zum Office eine halbe Staude Minibananen. Ich steige unter die Dusche. Ein eiskalter, feindlicher Schwall Wasser läuft über meinen Kopf. Na, immerhin bin ich sofort wach. Die Dusche ist für die ersten Sekunden schlimm. Ich verkneife mir bescheuerte Geräusche. Mein nächster Gedanke: Nicht schlecht. Wer braucht denn schon warmes Wasser? Ich genieße es, aber nicht lange, denn ich bin schon zu spät dran. Unbedingt sollte ich jetzt meine Sachen einpacken, den Berg runter- und den nächsten wieder rauflaufen und den Bus in Richtung Nyarugenge nehmen.

Der Plan ist eher semierfolgreich. Zwischen Tellern und blöden Kinyarwanda-Zetteln suche ich meinen Schlüssel. Wer hat ihn schon wieder verlegt? Irgendwer möchte wohl nicht, dass ich arbeiten gehe…
Doch nach ein paar Minuten der an Verzweiflung grenzender Suche stolpere ich aus dem Haus, schnell Arbeitsgerät auf den Rücken und bevor ich den Berg zum Busstop hoch kraxele, packe ich am nächstbesten Stand noch ein Bund Bananen ein.

Im Büro angekommen (es ist nun 11:05 Uhr), sattle ich meinen übergroßen Rucksack ab und baue im Winzlings-Büro gemächlich meinen Laptop auf. Mein Chef ist noch nicht da. Sehr schön. Ein paar Mails schreiben und mein heißgeliebtes Bananenfrühstück zu genießen. Ein bisschen Pauls und Leons Blog lesen (sehr zu empfehlen) und StarWars den sechsten herunterzuladen, und dem Stempeltacker jenseits der Holztrennwand zu lauschen, der wie ein Metronom ununterbrochen den Rhythmus schlägt und meine Konzentration vorgibt. Mal besser, mal schlechter.

Später, schweren Mutes, suche ich mein HTML-Lernzeug raus, um meine Skills in Sachen Webpages zu verbessern. Kurz nach meiner Ankunft stürzte die Webseite von FAPDR ab, die natürlich wichtig ist um zu sehen, dass wir tatkräftig an den Fahrrad- und Energieofenprojekten arbeiten. Mein Chef bat mich, die Seite zu aktivieren und einem bösartigen Fehler den Garaus zu machen, allerdings ist Programmieren für mich in etwa so transparent wie die Arbeitsmoral im Immigration Office. Und wie deren Gründe, warum ich dieses und jenes Dokument, zum Beispiel mein deutsches Abiturzeugnis, noch fürs Visum brauche. Im Übrigen habe ich das jetzt endlich. Und darf sogar legal hier arbeiten.

Wie auch immer, kurz vor der Mittagspause trudelt Jean Baptiste, mein Chef, ein. Wir beide stellen ganz nebenbei die komplette Crew von FAPDR dar. Er begrüßt mich auf seine ruhige, entspannte Art und wir quatschen ein wenig. Ich habe ausnahmsweise mal mehr zu tun als die Füße hochzul… ich meine, Kinya zu lernen oder mir Gedanken übers Reisen zu machen. Jean bittet mich, ein 12-seitiges Proposal für ein neues Projekt zu berichtigen. Nice, endlich werde ich mal gebraucht!
Vielleicht ein wenig zu früh gefreut. Das kleine Kompendium ist zwar auf Englisch verfasst, allerdings enthält es so viele Fehler, dass es schwer lesbar ist. Und sobald ich angefangen habe, meint Jean, er braucht es morgen und will es dann losschicken. Dann rauscht er auch schon aus dem Office und mir bleibt nichts Anderes übrig, als mich durch den Wortsalat zu finden, Fehler zu korrigieren und zu hoffen, dass ich die Sätze verstehe und nicht nachfragen muss. Denkste. Nach zehnminütigem Lesen ist überdeutlich, dass ich es mit einem Fall der nicht ganz so einfachen Art zu tun habe und den kompletten Text neu verfassen muss. Man stolpert über Unklarheiten, Wiederholungen und von google translate übersetztes Französisch. Ein wunderbares, blumiges und ein klein wenig naives Proposal (das erlaube ich mir mal), so wie es sein soll. Ein Zitat wäre vielleicht nicht schlecht. Wobei, das erspar ich euch. Fragt mich persönlich, wenn euch das brennend interessiert...

Ich bin heilfroh, als ich das letzte Wort am nächsten Tag verbessert habe und zur Belohnung für die Aufbürdung von Arbeit den Rest der Woche frei bekomme. Gar nicht mal so schlecht, wenn ich ab und zu tatkräftig wirken kann, wirklich gebraucht werde, und am nächsten Tag mit einer freundlichen Guten-Morgen-SMS geweckt werde: „Today I not be to office, you can work at home.“ Immerhin weiß ich dann ab Sonnenaufgang, dass ich mich noch einmal auf die andere Seite drehen und schlummern kann. Super.


Wenn man sich darüber nachdenkt, ist doch Sprache so etwas Tolles, etwas, mit dem man sich selbstverwirklichen kann und mit Leuten in Kontakt kommt und schnell in eine neue Gesellschaft eintaucht. Zumindest, wenn man die Sprache kann. Logo, wo doch Sprache das Essentielle ist um sich zu verstehen. Da hapert es bei mir im Office. Und dabei geht es nicht mal um Kinyarwanda. Ich gebe mir echt Mühe und versuche so viel Französisch zu sprechen, wo es sich anbietet, mal ist es erfolgreich und man bekommt Anerkennung, und mal läuft es gar nicht. Einmal fragte ich meinen Chef etwas zum co2balance Projekt; wie es strukturiert ist und wer welche Aufgaben übernimmt. Damit habe ich mich und ihn überfordert. Mich im Französischen, weil ich seine Antwort nicht erst nicht verstand. Ihn, weil er meinem Gefühl nach gar nicht so genau weiß, wie das Projekt abläuft und wie etwas Dringendes zu organisieren ist. Nichtsdestotrotz hoffe ich darauf, dass es nach einigen Monaten Paukerei und Einarbeiten besser läuft.


Ein bisschen mehr zum Stadtleben. Ich hab ein wenig in meine Blogkiste gegriffen und wollte das hier eigentlich schon viel früher posten. Jetzt gibts diesen Post, damit man sich den Verkehr vorstellen kann (besser bekannt als Kigal’sches Gewusel). Ich weiß nicht genau wie viele Unfälle jeden Tag entstehen und wie die alle so schnell geräumt werden sollen. Voila.

„Ich sitze im Bus in Richtung Office und staune über den Verkehr. Ein Krachen, dann ein metallisches Schleifen, der Bus hält an. Ich bin noch in ein Gespräch mit frisch gelernten Wörtern Kinyarwanda verwickelt, als die Leute sich die Nasen an den Fenstern plattdrücken und aufstehen, Erstaunen in den Stimmen, neugierige Gesichter.
Ein Unfall. Vorn, durch die Frontscheibe sehe ich es. Ein weggeschleudertes Moto, Kratzspuren auf der Straße, doch kein Fahrer. Sieht heftig aus. Weder links noch rechts sehe ich jemand auf der Straße. Doch am Rand des staubigen Asphalts sitzt ein Mann, den Helm noch an, Visier hochgeklappt, außer Atem. Der Schreck steht ihm ins Gesicht geschrieben. Kein Blut, keine Verletzungen, und alle lassen sich zurück in die Sitze fallen.
Ich glaub, ich bin grad fast genauso geschockt wie der Busfahrer. Ob er mal in den Rückspiegel schaut? Ich wage es zu bezweifeln. Oder der Motofahrer, der seine Fahrkünste zeigen wollte. Zwischen ausschwenkendem Bus und Gegenverkehr hindurch. Natürlich blinkt hier keiner. Doch hier geht es nicht um Schuld. Eine Delle am Bus, Schrammen und Blech, Lackschäden, alles halb so wild. Der Fahrer redet mit ihm, es sieht so aus als wollen sich die beiden vertragen. Der Bus fährt weiter.
Ich steige vorm Office aus, noch ein wenig verwundert, dass alles so schnell ging. Ich halte mich das nächste Mal umso besser hinten an der klapprigen Halterung fest, wenn mich wieder ein Moto mitnimmt.“

Das war das erste Mal, einen Unfall miterlebt zu haben.
Letztens erneut. Nach einem kurzen Regen, der es dafür in sich hatte, fuhr ich auf der belebten Straße am Busbahnhof zurück und wieder drückten sich plötzlich alle Leute die Nase platt. Den Unfall selbst hab ich nicht mitbekommen. Zwei Busse standen mitten auf der Fahrbahn, ohne Spur einer Kollision. Doch plötzlich sah ich es genau unter dem Bus. Ein Mann lag hinter dem Vorderrad, mit seltsam abgewinkelten Armen, komplett regungslos. Ich wollte gar nicht dahinsehen, das Bild brannte sich trotzdem fest. Noch krasser war, dass die Passanten wie die Geier auf den Körper starrten und stehen blieben. Und viele hörte man sagen „ein Toter, ein Toter“.

Unschön und zugegeben unpassend, so etwas zu sagen, aber an diese Neugier und Gafferei muss man sich schlicht und einfach gewöhnen, egal in welcher Situation.
 
Nach ein paar Minuten kamen von überall her Polizisten und Militär angerannt. Das ist nochmal ein krasser Anblick. In Deutschland tragen die Beamten ihre Bewaffnung sehr dezent am Körper. Und Militärpräsenz ist quasi ein Fremdwort. In Kigali stehen an jeder Straßenecke mindestens drei Milizen, mit geschulterter AK, die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Manchmal wird man genauso durchdringend angegafft. Manchmal starren sie apathisch Löcher in die Luft.

Ich steige aus, und laufe zur nächstbesten Alimentation. Gönne mir eine eiskalte Fanta Citron aus dem Schrank und laufe weiter.